Aserbaidschan: Land des Feuer

Ausstellung im Ethnologischen Museum Berlin 2008

 

Gleich am Eingang stehen die Ölfässer – davor eine Landkarte von 1882. Hier sind die damaligen Öl- und Gasquellen, Raffinerien und Pipelines aufgezeichnet, zutreffend auf Englisch und Russisch erläutert. Um 1891 versorgte Aserbaidschan die Welt mit rund der Hälfte ihres Ölbedarfs; aber schon früher, vor 2600 Jahren, wussten die Menschen von dem Wert des Öls, des so genannten „Feuerwassers“, das dem heutigen Aserbaidschan seinen Namen gab. Öl gab es auch damals reichlich und bei Windstille konnte das Meer bei der Hauptstadt, Baku, sogar brennen. Die Menschen reisten aus aller Welt dahin um in den zoroastrischen Kult-Tempeln auf der Abscheron Halbinsel vor diesem „Ewigen Feuer“ sich zu verbeugen.

Es geht aber um mehr als Öl in dieser unbedingt sehenswerten Ausstellung, „Aserbaidschan – Land des Feuers“, die noch bis zum 16. November im Ethnologischen Museum in Dahlem zu sehen ist. Das Ministerium für Kultur und Tourismus der Republik Aserbaidschan und die Botschaft der Republik Aserbaidschan in Deutschland präsentieren ihr Land – in Europa zum ersten Mal. Herausragende archäologische Gegenstände, Kunstwerke, Manuskripte und Artikel des täglichen Lebens, zum größten Teil aus aserbaidschanischen Museen, bezaubern den Betrachter und erhellen diese süd-kaukasische Geschichte und Kultur.

Ein über fünftausend Jahre altes Rinderfigürchen aus Ton führt den Besucher in die Frühzeit ein; bemalte und glasierte Gefäße oder etwa Geschirrteilen und Schmuck beleuchten das Leben der Bronze- und Eisenzeit. Bemerkenswert sind zwei kleine weibliche Figuren, von den Kuratorinnen als Fruchtbarkeitsgöttinnen gedeutet – sinnliche Hinweise auf die damalige Weltanschauung?

Mehrere Jahrhunderte und einige Schritte weiter, beeindrucken die ca. einen halben Meter hohen unterschiedlich gestalteten Steinfragmenten mit ihren  gemeißelten persischen Inschriften. Sie entstammen dem im 13.Jh.u.Z. errichteten Bailower Burg: mehrere Jahrhunderte war dieser Burg in der Bucht von Baku versunken. Als der Meeresspiegel abgesunken ist sind sie wieder zum Vorschein gekommen – wundersam in aller Pracht.

Einzigartig ist auch die Originalhandschrift des von der UNESCO gefeierten, mündlich überlieferten Volks-Epos, „Kitabi-Dede Korkud“. Daneben glänzt das Meisterwerk der orientalischen Renaissance, die Gedichte der so genannten „Chämsä“, des berühmten Dichters Nizami: ihre goldene, farbige Miniaturmalereien leuchten wie vor Jahrhunderten. Und der berühmte Medizinkanon von Avicenna, sowie die Schriften von Nasruddin Tusi, dem großen Wissenschaftler und Erfinder seiner Zeit, zeigen ihre wunderschöne, minutiöse Kalligraphie.
Weiter und in moderneren Zeiten angekommen, zeigen die dekorativen Kunstobjekte und Web- und Knüpfteppiche eine Freude an Farbe und Ornament. Besonders ausführlich wird die persisch beeinflusste aserbaidschanische Damentracht zur Schau gestellt. Die höfische Kleidung wurde aus der hochwertigen aserbaidschanischen Seide oder aus dem Tirme genannten Wollgewebe hergestellt und – von den Frauen? – kunstvoll bestickt und reizvoll gestaltet. Und nicht zuletzt, wird die klassische Mugham-Musik sogar zum Hören angeboten, zusammen mit einer Sammlung der traditionellen Instrumente.

Am Ende der Ausstellung angekommen, bleibt aber doch die Frage wie das tägliche Leben im heutigen Aserbaidschan wohl aussehen könnte. Die sehr konservative zeitgenössische Malerei, die von den KuratorInnen ausgesucht worden ist, gibt nur bedingt einen Einblick. Leidet etwa das Land noch an Folgen des Nagorno-Karabach Krieges, der 1994 mit einem Waffenstillstand endete? Tatsächlich erwähnen die Ausstellungsmacher diesen Konflikt überhaupt nicht – die Zeittafel am Eingang der Ausstellung beenden sie interessanterweise mit dem Jahr 1991! Das armenische Volk, seine Geschichte und Kultur innerhalb von Aserbaidschan wird einfach totgeschwiegen. Das – obwohl Nagorno-Karabach Aserbaidschan offiziell gehört. Und obwohl die Armenier schon seit dem 6.Jh.v.Ch. in diesem Gebiet ansässig waren, wie schriftliche Zeugnisse auch beweisen.

Durch Schweigen wird nicht nur der Krieg geleugnet, sondern genauso manches Geschehen der Nachkriegszeit. In der Ausstellung ist ein farbig großzügig dekoriertes Steinfragment aufgestellt. Es zeigt Inschriften in der arabischen Kufi-Schrift. Das Fragment stammt aus dem muslimischen Momine Chatun Mausoleum.in Nachitschevan. Nachitschevan ist ein Gebiet, das gerade für die Armenier wichtig ist; hier war einmal der größte und kostbarste mittelalterliche armenische Friedhof. Die BesucherIn der Ausstellung erfährt aber nichts von dieser Tatsache, noch erfährt sie dass dieser Friedhof mitsamt seinen über 2000 gemeißelten Grabsteinen 2005 brutal zerstört worden ist – und das unter Aufsicht des Aserbaidschanischen Staats.

Viele Aserbaidschanern spüren immer noch die Folgen des Krieges. Fast 600 000  intern Vertriebene sind auf staatliche Hilfe angewiesen, wobei inzwischen schon eine zweite Generation der Vertriebenen herangewachsen ist – Menschen die zum Teil in Lagern, Eisenbahnwaggons, und irgendwelchem improvisierten Obdach unter unerträglichen Umständen ihr Leben verbringen und die keine Hoffnung haben jemals aus der Abhängigkeit herauszukommen. Für sie ist die Abhängigkeit zur Norm geworden. Diese so genannte „gachkinlar“ (die die wegrennen), haben nur theoretisch Zugang zur Bildung, nur theoretisch sonstige politische und soziale Rechte die für andere Aserbaidschaner jetzt  selbstverständlich sind.
Trotzdem können sie über das bisschen Freiheit, dass sie haben froh sein, denn in Aserbaidschan wird mit Menschen gehandelt, wobei das Land zugleich Ursprungs- sowie Durchgangsland ist. Nach der Alternative Country Report für die UNO 2004, sind hauptsächlich Frauen betroffen: am häufigsten jene Frauen die Opfer der Vergewaltigung gewesen sind. Unter solchen Frauen versteht man auch Mädchen die am Werkplatz sexuell belästigt worden sind und so „entehrt“ wurden, allein stehende Mütter, und unverheiratete Frauen die oft ihre ganze Familie ernähren. Die Händler entführen solche Frauen, aber auch Kinder, führen sie von Aserbaidschan sowie aus Usbekistan, Kirgisien, Kasachstan und Moldawien in die Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten wo sie  dann sexuell ausgebeutet werden; die Männer führen sie nach Russland zur Zwangsarbeit.

Parallel, erlebt das Land dank dem wachsenden Ölexport eine Hochkonjunktur bei einer wirtschaftlichen Wachstumsrate von 19.2%. Die Militärausgaben wachsen auch – sogar überproportional. Die von der CIA geschätzten Militärausgaben kamen 2005 auf 2.6%.  Nur einen Teil der Menschen genießen diesen Wohlstand. Vielmehr gewinnen die negativen Aspekte der Entwicklung die Oberhand. Als Folge des unregulierten Baubooms demolieren Unternehmer historisch gewachsene Stadtteile in Baku, ersetzen sie durch Luxushochhäuser, und vertreiben die Bewohner.

Angefangen hat der gegenwärtige aserbaidschanische Ölboom mit dem so genannten „Jahrhundertvertrag“. 1994 hat die State Oil Company of Azerbaijan Republic zusammen mit zehn ausländischen Erdölkonzernen, unter anderen BP, Unocal und Statoil diesen Vertrag unterzeichnet. Seitdem hat Baku sich in eine Stadt mit pulsierenden Nachtleben verwandelt, angetrieben von ausländischem Geld zum Ergötzen der oberen Schicht die von diesem Boom profitiert. Indessen wird die Abscheron Halbinsel, inklusive Baku, und das Kaspische Meer von den hiesigen Wissenschaftlern zu der ökologisch am stärksten verschmutzten Region der Welt deklariert. Vielleicht haben die KuratorInnen auch daran gedacht als sie die Ölfässer an prominenter Stelle in dieser sehr schönen Ausstellung platziert haben. Ob mit oder ohne Absicht sind sie sicher ein Hinweis: Wir verbeugen uns immer noch vor diesem heiligem Feuer.

 

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